Wie entsteht Schüchternheit?
Schüchternheit kann viele Ursachen und Gründe haben. Ich erkläre euch welche es gibt, damit ihr eure Schüchternheit besser verstehen könnt.
Genetische Veranlagung
Tatsächlich gibt es einige Hinweise dafür, was man gut bei Tierchen wie Katzen sehen kann, die meist eher scheu gegenüber Fremden sind. In 70 Prozent der Fälle sind Eltern und ihre Kinder gemeinsam schüchtern. Schüchternheit kann auch bereits früh im Leben da sein. Schüchternheit wurde sogar als die am stärksten vererbte Eigenschaft bei eineiigen Zwillingen festgestellt.
Eine gewisse soziale Ängstlichkeit kann sich aber bereits in der frühen Kindheit zeigen. Sie wird aber auch sehr stark durch Erziehung beeinflusst. Womöglich besteht auf neurochemischer Ebene eine Ursache. Betroffene Kinder aber eine überempfindliche Amygdala und reagieren daher auf kleinste Auslöser mit Angst und Schreien. Unbekannte wie neue Situationen machen ihnen Angst.
Während meiner Recherche habe ich herausgefunden, dass Schüchternheit tatsächlich eine sehr nützlich Eigenschaft im Tierreich ist, die auf Schadensbegrenzung oder Schadensvermeidung hinzielt. Besonders in Situationen, die beinahe eskalieren, ist es hilfreich, wenn man sich zurück nimmt oder vielleicht nicht unbedingt das sagt, was man denkt. Natürlich sollte das nicht der Standard sein. Aber in manchen Fällen ist es weiser, seine Meinung für sich zu behalten.
Wie die Umwelt Schüchternheit beeinflusst
Doch auch Umwelteinflüsse sind entscheidend. Hier ist besonders die Erziehung, das familiäre Umfeld wie auch die sozialen Beziehungen generell zu nennen.
Erziehungsstil der Eltern
Gerade junge und unerfahrene Eltern neigen dazu, übertrieben beschützend zu sein. Das Kind darf bloß keinen Gefahren ausgesetzt werden, es muss vor allem bewahrt werden. Auch wenn diese Absicht nur gut gemeint ist, ist sie nicht gerade hilfreich. Denn Kinder und generell alle Menschen müssen eben mit Niederlagen, Gefahren wie Problemen im Leben lernen umzugehen.
Statt das Kind zu schützen, nimmt man ihm die Möglichkeit diese Fähigkeit zu entwickeln. Sie wissen nicht wie sie damit umgehen sollen, werden hilflos, woraus dann schlussendlich auch Ängstlichkeit und Unsicherheit resultiert. Außerdem machen sie sich von ihren Eltern abhängig und schaffen es nicht, Unabhängigkeit zu erreichen.
Aber auch der gegenteilige Erziehungsstil kann zum gleichen Ergebnis führen. Schüchternheit hängt auch eng mit „einschüchtern“ zusammen. Erfährt man als Kind eine recht strenge Erziehung, bei der es nur schlechte Kritik regnete, vermindert dies das Selbstwertgefühl ungemein. Einschüchtern kann sich unterschiedlich zeigen.
Von Kritik über Anschreien bis hin zu Schlägen kann alles dazu führen, dass sich Ängstlichkeit bei Kindern entwickelt. Betroffene fürchten sich vor schlechten Bewertungen und vor Fehlern. Infolgedessen tun sie alles, um die Gunst der Eltern zu bekommen. Auf Kosten der eigenen Persönlichkeit, Bedürfnisse und Wünsche. Meinungen, die den Eltern nicht passen, werden zurück gehalten, man versucht sich stets anzupassen, um ja nicht böse aufzufallen. Man will ja gefallen.
Oftmals hören schüchterne Kinder von ihren Eltern, dass sie dies oder jenes tun oder eben unterlassen sollen. Man soll andere ausreden lassen, nicht laut sein, gehorsam sein, sich an andere anpassen. Sich vor Fremden in acht nehmen oder eben anderen den Vortritt lassen. Was andere denken und tun wird maßgebend für betroffene Kinder.
Das nennt man soziale Konditionierung. Die Eltern sind eben unsere Vorbilder und prägen uns – meist ein Leben lang. In vielen Fällen führt dies zu einer übertriebenen Vorsicht oder Zurückhaltung
Daraus resultieren Lernerfahrungen, die sich in Form von negativen Einstellungen festigen. Katastrophendenken wie (die anderen mögen mich nicht)) oder negatives Selbstbild (ich bin ein Versager) erzeugen Angst.
Daraus folgt dann das Vermeidungsverhalten, sozialen Situationen auszuweichen, worauf ich später noch einmal eingehen werde. Es resultiert ein Kreislauf, denn negatives Selbstbild sowie negative Erfahrungen verursachen die Angst vor der Angst, was das Vermeidungsverhalten verstärkt. Diese Vermeidung intensiviert dann das negative Selbstbild und lässt nicht zu, dass soziale Kompetenzen entwickelt werden.
Selbstbild
Ihr seht also, dass auch das Selbstbild dabei eine Rolle spielt: empfindet man sich selbst als schüchtern, wirkt dies wie eine selbst erfüllende Prophezeiung. Man verhält sich demnach auch schüchtern.
Es kann auch sein, dass man durch dominante, strenge Eltern wenig Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl entwickelt hat, weil man ja ständig kritisiert wurde. Dann zweifeln Betroffene an ihren Fähigkeiten und an ihrer Persönlichkeit, können sich selbst nicht akzeptieren oder mögen, weil ihnen ja niemand positive Bestätigung gegeben hat.
Persönlichkeitsstile
Es gibt jedoch auch bestimmte Charaktereigenschaften und Persönlichkeitsstile, die Schüchternheit fördern.
Perfektionismus kann daraus resultieren, es den Eltern und anderen recht zu machen. Dies führt zwangsläufig zu übervorsichtigem Verhalten. Kein Fehler ist erlaubt und wenn doch mal einer geschieht, fühlt man sich schon wie der letzte Versager.
Vielleicht möchte man es darum auch allen recht machen, weil man glaubt, dass man erst Anerkennung braucht, um überhaupt etwas wert zu sein. Klar Menschen sind eben soziale Tiere und können nicht ohne andere auskommen. Aber es darf eben nicht so ausarten, dass man sich dann selbst betrügt oder anderen unterwirft. Gerade aber schüchterne Menschen wollen eben nicht, dass andere sie ablehnen. Sie haben eine regelrechte Angst davor Kritik zu erfahren, weil sie sich vor Einsamkeit und Isolation fürchten.
Deswegen versuchen sie alles, damit dies nicht geschieht. Das bedeutet auch, sich nicht so zu geben, wie man wirklich ist. Aus Angst, man könnte anderen dadurch nicht gefallen, verstellt man sich. Oder man sagt nicht, was einem wirklich durch den Kopf geht, weil es den anderen widersprechen würde.
Glaubenssätze
Aus all diesen Faktoren können sich dann sogenannte Glaubenssätze festigen.
Glaubenssätze sind Annahmen, Einstellungen und Vorstellungen, die wir verinnerlicht haben und als unsere unerschüttliche Wahrheiten ansehen. Dabei sind sie es aber nicht, sondern stark subjektiv und verzerrt. Oftmals verallgemeinern oder polarisieren sie, wodurch wir auch die Welt verzerrt wahrnehmen.
Hier einmal einige Beispiele:
„Ich bin nicht gut genug.“
„Ich darf nicht anderer Meinung sein als die anderen, sonst mögen sie mich nicht mehr.“
„Ich muss ruhig sein, damit ich anderen gefallen kann.“
„Andere Menschen sind gefährlich.“
„Ich darf niemandem vertrauen.“
„Ich muss alles tun, um anderen zu gefallen.“
„Ich kriege nichts hin, also bin ich ein Versager.“
„Ich darf nicht so sein wie ich bin, denn das würde andere zur verschrecken.“
„Ich darf nichts ablehnen, sonst sind mir alle böse.“
Wir merken gar nicht, dass diese Vorstellungen nicht stimmen. Im Gegenteil: wir nehmen nur das wahr, was auch unsere Glaubenssätze bestätigt. Durch diese Bestätigung verfestigen sich diese und führen zu entsprechendem negativem Verhalten. Diese Sätze sind so in unser Unterbewusstsein verankert, dass wir sie gar nicht wirklich wahrnehmen und doch beeinflussen sie unser Verhalten enorm. Glauben wir, dass alle anderen böse sind, gehen wir Menschen aus dem Weg. Vertrauen wir niemanden, sind wir gehemmt uns zu öffnen. Glauben wir, dass wir nicht liebenswert genug sind, verstellen wir uns, statt uns so zu zeigen, wie wir sind.
Mangelnde soziale Kompetenz
Es gibt weitere Faktoren, die Schüchternheit begünstigen. oder die mangelnde soziale Kompetenz. Aber auch das Fehlen sozialer Fähigkeiten im Umgang mit anderen und sozialen Situationen sind Einflussmöglichkeiten. Schüchterne Menschen sind unsicher, was soziale Beziehungen angehen, entweder weil sie diesen bewusst aus dem Weg gehen oder früher in ihrer Kindheit nicht die Möglichkeit hatten, genug mit anderen zusammen zu sein.
Wurde man oft als Kind allein gelassen, hat man den Umgang mit anderen nicht richtig gelernt. Folglich bestehen Zweifel, wie man sich in sozialen Situationen verhält. Es ist diese Unerfahrenheit und Angst vor Neuem und Unbekannten, die Betroffene hemmt sich im Sozialen zu entfalten. Es fehlt ihnen an Übungen und Lernerfahrungen.
Schüchternen fällt es schwer, Kontakt zu anderen aufzubauen, denn sie sind ja eher in sich gekehrt. Aber auch Small Talk oder ein Gespräch am Laufen zu halten, ist eine Herausforderung für sich. Weil man aber eben Angst vor anderen und sozialen Situationen hat, versucht man sie als schüchterner Mensch möglichst zu vermeiden, was aber zu einer Verstärkung der sozialen Ängstlichkeit führt. Statt also soziale Kompetenz zu entwickeln, stehen sich Betroffene dann selbst im Weg.
Meine Erfahrungen
Auch ich weiß nicht genau, wie meine Schüchternheit entstanden ist, ich kann nur Vermutungen anstellen. Außerdem nehme ich an, dass es nicht eine Ursache, sondern mehrere gegeben hat. Ich denke, dass es gewissermaßen schon in mir selbst veranlagt gewesen ist. Meine Mutter ist nämlich auch eher eine sanftere und ruhigere Person und litt früher in ihrer Kindheit und Jugend selbst unter sehr starken Minderwertigkeitskomplexen und Schüchternheit, vorwiegend weil sie mit ihrem Äußeren nicht zufrieden war. So denke ich mir auch, dass ich mich als Kind unbewusst auch am Verhalten meiner Mutter orientiert habe. Ich kann mich zwar nicht immer so genau daran erinnern, halte es aber für sehr wahrscheinlich. Für mein ruhiges Temperament finde ich keine wirkliche Erklärung, ich bin eben einfach damit geboren worden.
Dann denke ich aber, dass es auch auslösende wie aufrecht erhaltende Faktoren gibt, die meine Schüchternheit noch einmal verstärkt haben. Großen Einfluss sehe ich in meiner eigenen Erziehung. Meine Eltern waren beide von Grund auf sehr streng mit mir gewesen. Fehler waren nicht erlaubt, Scheitern erst recht nicht. Immer wurde von mir nur verlangt dies und jenes zu tun und wenn ich das eben nicht ausreichend geschafft habe, prasselte gleich ganz viel Kritik auf mich ein. Auch heute noch, obwohl ich erwachsen bin, versuche ich es ihnen immer noch recht zu machen und will bloß nichts Falsches machen. Relikte aus der Kindheit. Weil ich immer versucht habe, Fehler zu vermeiden, wurde ich immer vorsichtiger in dem was ich tat.
Das hat dann zu diesem Vermeidungsverhalten geführt und zu meiner generellen Angst, überhaupt Fehler zu begehen. Dabei sind Fehler wichtig für unsere Entwicklung und dürfen gar nicht verboten werden! Wir lernen aus Fehlern mehr als aus Niederlagen und das ist es auch, was ich generell an unseren Erziehungen und Bildungssystemen kritisiere.
Weil meine Eltern mich ständig kritisierten, entwickelte ich selbst starke Minderwertigkeitskomplexe. Ich dachte, ich sei nicht wirklich liebenswert und voller Fehler. So jemanden wie mich, kann man gar nicht akzeptieren oder gar lieben. Lob wurde selten ausgesprochen, sondern eben immer nur Kritik. Kein Wunder, wenn ich mich selbst im Spiegel nicht sehen wollte. Außerdem kam hinzu, dass man mein ruhiges Verhalten auch nicht akzeptiert hatte. Ich wurde demnach auch noch stigmatisiert.
Ruhig sein ist schlecht, lieber offen und extrovertiert, das was ich eben nicht war und niemals sein werde. So wie ich bin, so war ich nicht in Ordnung. Und in der Schule wurde mir das eben auch immer wieder deutlich gemacht. In diesen Beurteilungen auf den Zeugnissen der Grundschule stand immer nur: Lan ist eine zurückhaltende Schülerin und sollte sich mehr am Unterricht beteiligen. Sie kann viel mehr als sie zeigt. Zurückhaltung wird nach wie vor in der Gesellschaft nicht gerne gesehen, dabei ist sie im Zwischenmenschlichen wichtig.
Außerdem war ich immer sehr abhängig davon, was andere von mir hielten, ganz besonders meine Eltern. Diese hatten mir immer eingebläut, dass ich mich gut und richtig in der Gesellschaft verhalten sollte, damit ich akzeptiert werde. Aus dem Grund habe ich immer versucht, es allen recht zu machen, zumal ich aus der Anerkennung und Wertschätzung anderer meinen Selbstwert geschöpft hatte. Nur wenn mich die anderen mochten, konnte ich mich selbst einigermaßen ertragen. Und weil ich mich nicht akzeptieren konnte wie ich bin, habe ich mich auch immer verstellt und nicht mein wahres Ich gezeigt, aus Angst abgelehnt zu werden. Darüber hinaus hatte ich irgendwie die Vorstellung, dass ich besonders viel und Gutes leisten musste, um akzeptiert zu werden. Ich strengte mich sehr in der Schule an und doch war es nie genug. Und wenn ich mal eine schlechte Note kassierte, wurde das dann gleich wieder übertrieben kritisiert und ich habe mich wie ein Häufchen Elend empfunden.
Aus all diesen Erfahrungen sind dann auch meine persönlichen Glaubenssätze entstanden:
„Ich bin nicht liebenswert genug.“
„Ich darf nicht so sein wie ich bin, sonst werde ich abgelehnt.“
„Ich muss alles richtig machen, um gemocht zu werden.“
„Ich darf mir keine Fehler erlauben.“
„Ich muss anders sein, um anderen zu gefallen.“
„Ich muss etwas leisten, sonst bin ich nichts wert.“
Außerdem denke ich hat mir auch die Übung im Zwischenmenschlichen gefehlt. Ich denke das hat auch mit all den Dingen zu tun gehabt, die ich bereits erläutert habe. Da ich von Natur aus eher ruhig gewesen bin, habe ich schlecht Zugang zu anderen gefunden. Es fiel mir schwer auf andere zuzugehen und weil ich eben so ruhig war, hat mich auch keiner so wirklich bemerkt. So kam es mir oft vor, als wäre ich unsichtbar. Die anderen konnten mich nicht gut einschätzen oder dachten ich sei langweilig, weswegen sie sich nicht die Mühe machten auf mich zuzugehen. Das bestärkte mein negatives Selbstbild, wodurch ich mich mehr von anderen zurück gezogen habe. Darum war ich den Umgang mit anderen nicht so gewohnt, weil ich sonst immer allein gewesen bin.
In meiner Freizeit war ich entweder allein Zuhause oder hatte nur mit wenigen Freunden zu tun. Weil ich also nicht die Welt erkundigte und etwas draußen unternahm oder neue Leute kennen lernte, wusste ich auch nicht wie ich mit anderen Menschen umgehen sollte, die mir weniger vertraut gewesen sind. Ich denke, dass sind alle Faktoren gewesen, aus denen meine Schüchternheit folgte bzw. die diese sogar begünstigten. Ein bunter Mischmasch aus unterschiedlichen Ursachen. Was sind eure Erfahrungen gewesen? Was waren für euch Gründe und Ursachen für eure Schüchternheit?
Fazit
Abschließend möchte ich euch sagen, dass es nicht DIE EINE Ursache für Schüchternheit gibt, sondern meist eine Mischung all dieser Faktoren besteht. Manche kann ich vielleicht noch selbst erkennen, manche liegen weiter zurück oder sind gar nicht mehr präsent. Es ist jedoch gar nicht so entscheidend, alles zu rekonstruieren, sondern wichtiger zu lernen mit der Schüchternheit umzugehen.
Dennoch erachte ich es als wichtig, dass wir uns mit den Ursachen und Gründen unserer Schüchternheit beschäftigen. Wenn wir diese finden, können wir unsere Schüchternheit besser verstehen und Lösungen erarbeiten. An unserer Erziehung oder unserer genetischen Veranlagung können wir nicht viel machen. Wir können allerdings lernen damit umzugehen und diese zu reflektieren. Wir haben die Wahl. Wir können an unseren Glaubenssätzen und unserer sozialen Kompetenz arbeiten oder uns in ein Umfeld begeben, das der Schüchternheit entgegen wirkt.
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